Andrins Eltern

„Wir werden nie unauffällig sein“ – Andrins Eltern erzählen, weshalb sie sich entschieden haben, den kongenitalen melanozytären Nävus ihres Sohnes vorerst nicht zu operieren.

 

Als Andrin zur Welt kam, hatte er am Hals erst zwei kleine Flecken. Die Ärzte beruhigten die Eltern, und sagten, dass diese von alleine wieder verschwinden werden. Als Andrins Mutter aber einige Zeit später mit ihrem Baby zur Kontrolle ging, erfuhr sie von den Ärzten, dass aus den Flecken ein grosses Muttermal entstehen wird. „Ich war geschockt. Fühlte mich alleine. Es kam alles total unerwartet.“ Die neue Situation machte ihr zu schaffen. „Ich fragte mich, ob es etwas mit mir zu tun hat, weil es „Muttermal“ heisst und ich die Mutter bin.

Die Eltern lasen viel, informierten sich im Internet und fragten Ärzte. Von Anfang an waren beide gegenüber einer Operation eher kritisch eingestellt. „Die Narben waren für uns keine befriedigende Alternative. Ausserdem haben wir immer noch die Hoffnung, dass das Muttermal mit der Zeit blasser wird. Und vielleicht kann es Andrin später, wenn er Bart trägt, auch kaschieren. Diese Möglichkeit hätte er mit den Narben nicht.“ Auch Andrin wurde bereits früh in den Entscheidungsprozess miteinbezogen. Ihn stört sein Muttermal nicht. Solange das so bleibt, möchten seine Eltern nichts machen. „Sollte er seine Meinung irgendwann ändern, werden wir ihn natürlich unterstützen.“ Dass die Eltern immer gemeinsam an einem Strick gezogen haben und sich so gegenseitig unterstützen konnten, hat ihnen im Entscheidungsprozess sehr geholfen.

Eigentlich wünschten wir uns ja ein unauffälliges Leben. Das Muttermal macht das natürlich unmöglich.“ Es zieht die Blicke der Leute magisch an. Egal, wo die Familie unterwegs ist, wird gestarrt. Der Umgang mit solchen „Übergriffen“ war für die Eltern nicht einfach. Sie brauchten Zeit, um eine Strategie zu entwickeln. Am Anfang reagierten sie mit Worten, heute ignorieren sie solche Menschen oder starren zurück, bis die Leute wegschauen. Auch Fragen, wann sie denn das Muttermal wegmachen lassen, das sei heute schliesslich möglich, hörten sie immer wieder. Andrins Eltern versuchen, aus den negativen Reaktionen auch etwas Positives zu ziehen: „Sie sind ein zuverlässiger Indikator für den Charakter der Leute.“  Der Vater sagt, dass auch er durch Andrins Muttermal viel sensibler gegenüber Leuten mit Behinderung geworden ist. Und die Kindergärtnerin von Andrins jüngerem Bruder Pierin lobt immer wieder dessen hohe Sozialkompetenz. „Die Andersartigkeit spielte in unserer Familie bereits sehr früh eine Rolle. Unsere Kinder hatten viele Bilderbücher, die genau das zum Thema hatten. Es war uns immer wichtig, dass sie Menschen, die nicht der Norm entsprechen, gleich behandeln wie alle anderen.“

Die grosse Hoffnung von Andrins Mutter ist es denn auch, dass die Gesellschaft lernt, Menschen wie Andrin so zu akzeptieren, wie sie sind. Sein Vater hofft, dass Andrin das Muttermal positiv nutzen kann. Das gelingt dem Achtjährigen bis jetzt ziemlich gut. „Er geniesst seinen hohen Wieder­erkennungswert.

(Text: Noemi Landolt, 2014; Fotos: Gabiela Acklin)

 

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