Tag 9 (28.10.17): Gedanken auf dem Weg nach Hause

Samstagnachmittag fahre ich mit der Motorrikscha wieder zum Flughafen. Der Flug nach Zürich, mit Zwischenstop in Mumbai, dauert bis am Sonntagmorgen – viel Zeit, um sich Gedanken zu machen.

 

Dort wo ich hinfliege, erscheint es mir im Vergleich zu dem Ort, von dem ich wegfliege, einfach eine gute Medizin zu betreiben; es ist alles da, was man benötigt, und die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, obschon deutliche Grenzen da sind. Diese Grenzen werden aber bei uns, im Gegensatz zu anderen Ländern, in der Regel nicht durch Mangel an Ressourcen festgelegt – so einfach ist es.

 

Wieder fliege ich über Kabul, in wenigen Stunden werden Habib und sein Team dort ankommen. Diese Tage in Indore waren für unser gemeinsames Projekt sehr wichtig und ich hoffe, der Mut und die Zuversicht des Teams aus Kabul wurde gestärkt.

 

Es ist so wichtig für dieses Land, dass Menschen, welche etwas zum Guten hin verändern wollen, bleiben und nicht das Land verlassen. Darum sollten wir nicht aufgeben, ihnen zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind, auch wenn wir nicht wissen, wann sich die Situation in Afghanistan wirklich zum Guten hin wenden wird.

 

Abschlussbild mit allen Teams aus Afghanistan, Indien und Nepal und den Mitarbeitern von Interburns

Es kommt mir ein Zitat von Seamus Heaney in den Sinn. Der Irische Nobelpreisträger für Literatur 1995, der während der gesamten Zeit des schweren Terrors in Nord­irland eine Stimme der Vernunft war, legte grossen Wert auf die Unter­scheidung zwischen Hoffnung und Optimismus:

 

„Hoffnung ist eben nicht Optimismus, es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“

 

Ich lande am Sonntagmorgen in Kloten und auf meinem Weg zur Gepäckausgabe komme ich an einer Werbung der Credit Suisse mit Roger Federer vorbei. Ah, da ist er ja wieder, denke ich (siehe Bericht vom 25. Oktober), und wie immer fordert er auf dem grossen Bildschirm den Ankommenden zu einem Selfie mit ihm auf: „Welcome to Switzerland, do you want a picture with me?“. Und ich antworte: Nein, für heute nicht, denn ich hab mir in den letzten Tagen selbst ein Bild gemacht.

  1. Renat Pfann sagt:

    Liebe Blog-Leserinnen und Leser

    Es freut mich, mit euch die ersten guten Nachrichten von Habib und seinem aus den Erkenntnissen in diesem Workshop in Indien zu teilen. Es sind Veränderungen, welche auch ohne grosse finanzielle Mittel sofort umsetzbar sind.

    Habib Ur Rahman erzählt, wie der Rahmen des Workshops in Indien, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den zahlreichen Diskussionen sowie die anschliessenden Veränderungen einen Boden geschaffen haben für die Vertiefung der gegenseitigen Wertschätzung und des Vertrauens zwischen den Teilnehmenden der Chirurgie, Pflege, Therapie und Anästhesie. Das Team ist nach wie vor sehr motiviert und freut sich, jene Ideen und Veränderungen, welche ohne grossen finanziellen Aufwand möglich sind, gleich umzusetzen.
    So macht Masoud Mohammadi, der Physiotherapeut jetzt jeden Morgen mit Habib Ur Rahman die Visite bei den Patientenkindern. Gemeinsam entscheiden sie, welche therapeutischen Massnahmen bei welchem Kind Priorität hat. Für das therapeutische Setting, den Verlauf und die Kommunikation mit den Eltern hat Habib Masoud die volle Verantwortung übergeben. Das ist in einem Land wie Afghanistan, wo die Hierarchie sehr stark präsent ist, nicht so selbstverständlich. Masoud Mohammadi ist der einzige Physiotherapeut im ganzen Kinderspital und daher für die Wirksamkeit seiner Massnahmen auf die enge Zusammenarbeit mit den Pflegefachfrauen angewiesen. Regelmässig bespricht, informiert und instruiert er die Pflegefachfrauen. Habib leerte sein eigenes Büro auf der Station, um dort Platz für die Therapien in der Frührehabilitation zu schaffen. Ergotherapie gibt es übrigens nicht in Afghanistan, so müssen der Physiotherapeut und die Pflegefachfrauen viele dieser Aufgaben übernehmen.

    Die drei Pflegefachfrauen, allen voran Jamila Safi und Masouda Mansor zusammen mit der Stationsleitung Deeba Mohed beschlossen schon in Indien, für die schmerzhaften Verbandswechsel, verschiedene Methoden der Ablenkung einzuführen und gleichzeitig die Eltern soweit wie möglich dabeizuhaben, damit diese ihren Kindern Trost und Sicherheit geben können. Mit grosser Überzeugung und Motivation haben sie diese Veränderungen bereits eingeführt. Auch hinsichtlich Reduktion der Infektionsrate haben sie Verbesserungsmöglichkeiten bezüglich Hygiene erkannt und sofort bei ihrer Rückkehr nach Kabul umgesetzt.
    Selbstverständlich brauchen viele dieser Massnahmen mehr Personal. So konnte Habib Ur Rahman erwirken, dass das Team ab dem kommenden Monat mit weiteren drei Pflegefachfrauen verstärkt wird. Immerhin, sind sie dann zu viert pro Schicht – was natürlich noch immer eine unglaubliche Herausforderung bei 40 und nicht selten mehr Patienten ist.
    Im Weiteren wird Habib Ur Rahman regelmässige Zeiten für gemeinsame Weiterbildung, Vertiefung und Reflexion einführen und die Themen, Erkenntnisse und Beschlüsse auch dokumentieren.

    Zahlreiche kleine und grosse Schritte sind bereits geplant, brauchen aber noch einiges an Zeit (und natürlich auch Finanzen) für diesen langen, oft auch sehr steinigen, kurvenreichen Weg in Richtung einer umfassenden Behandlung der brandverletzten Kinder in Afghanistan, getragen von einem eingespielten, tragfähigen, multiprofessionellen Team unter der Leitung von Habib Ur Rahman Qasim.

    Renat Pfann, Ergotherapeutin im Kispi
    Projektmanagement ‘Capacity building of a multiprofessional Burn Team at the Indira Gandhi Hospital Kabul, Afghanistan’

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