Martin Achermann

„Lustig war mal, als einer mit dem Velo in den See gefahren ist, weil er mich zu lange angeschaut hat“ – Martin Achermann – ein selbstbewusster Mann mit spannenden Geschichten und lehrreichen Erfahrungen.


Mit entspannter Stimme stellt Martin sich vor«Ich bin Martin Achermann, 53 Jahre, und komme aus dem Kanton Nidwalden» – ein charismatischer Herr. Martin berichtet von seiner Laufbahn. Er habe als Elektromonteur eine Lehre gemacht und sei im Verlauf seiner beruflichen Laufbahn international tätig geworden.

 

1996 gab es einen Auftrag in Kairo. Dort war er in der Freizeit oft mit dem Motorrad unterwegs. Eines Tages geschah ein Unfall. An den Hergang kann sich Martin noch ziemlich genau erinnern. Das Motorrad muss beim Sturz ein Leck im Benzintank bekommen haben. Der Treibstoff floss über ihn und entzündete sich. Etwa 30% der Haut wurde verbrannt. Martin wurde zunächst vor Ort betreut und nach zwei Tagen mit der Rega ins Universitätsspital Zürich verlegt, wo er anschliessend 3 Monate verbrachte. Martin berichtet über den Vorfall und scheint mit dem Erlebten im Reinen zu sein. Er sei sehr dankbar darüber, mit einer Partnerin zusammen zu sein, welche diese Geschehnisse mit ihm gemeinsam durchgestanden habe. Auch der tiefe Zusammenhalt im engen Familienkreis war enorm wichtig.

 

Die Rückkehr in den Alltag, nach dem Unfall, sei schwierig gewesen. Im Spital seien alle Besucher vorab auf Martins äusserlichen Veränderungen vorbereitet worden, um sich beim Anblick seines neuen Gesichtes nicht zu erschrecken. Zu Hause habe er den Kontakt zum Familien- und Freundeskreis nach und nach wieder gesucht. Diese Treffen wurden stets im kleinen Rahmen gehalten. Es sei nicht für alle gleich einfach gewesen, Martins neues Aussehen zu akzeptieren. Martin trug eineinhalb Jahre eine Gesichtsmaske, so ähnlich wie ein Hockey-Goalie, aber aus durchsichtigem Plexiglas. Genauso lange ging er täglich in die Physiotherapie. In der Öffentlichkeit sei es zu Beginn schwierig gewesen. Da spürte er manchmal förmlich die Blicke in seinem Nacken.

 

«Es gab mit Gaffern verschiedene Situationen. Der Eine auf dem Velo war so fixiert auf mein Aussehen, dass er den See vor seiner Nase kurzzeitig vergass und mitsamt Velo hineinplumpste». Es gibt einen Unterschied zwischen Anschauen und Gaffen, meint Martin, wobei Anschauen kein Problem darstelle, während Gaffen bei ihm zu Beginn am Selbstwert nagte. Jetzt habe Martin keine Probleme mehr damit und mache sich ein Spiel mit Gaffern, indem er direkt zurückgaffe.

 

Kinder würden ganz anders reagieren. Viele würden direkt fragen, was er denn im Gesicht habe. Einmal habe ein Kind seine Mutter laut gefragt «wieso gseht de Maa so gruusig uus?», womit die Mutter offensichtlich überfordert war. Martin antwortete darauf: «Weisst Du, ich hatte einen schlimmen Unfall mit Feuer. Es sieht einfach komisch aus, aber tut gar nicht mehr weh». Mit dieser Erklärung verliere die Besonderheit im Gesicht die Aussergewöhnlichkeit. Daher sei Kommunikation so wichtig. Spreche man miteinander direkt darüber, werde aus einer Besonderheit eine Alltäglichkeit.

 

1999 heirateten Martin und seine Partnerin und zwei Jahre darauf kam ihr Sohn zur Welt. Diese hollywoodreife Geschichte wurde auch im schweizerischen Fernsehen in der Sendung Quer gezeigt.

 

Nach einer längeren Reha-Phase und Umschulung zum Kaufmann wollte Martin wieder zurück ins Geschäftsleben. Dabei stellte sich die Frage, ob ein Bewerbungsfoto auf den Lebenslauf sollte oder nicht – für Martin war schnell klar, dass ein Foto unbedingt drauf gehört. Erfreulicherweise fand Martin schnell eine Anstellung. Der neue Job war ein grosser Selbstbewusstseins-Booster. Die Offenheit seiner Team-Mitglieder stärkte Martins Selbstsicherheit. Von der ersten Stelle bis heute, bildete sich Martin stetig weiter. Heute arbeitet er als Area Manager bei Nissan.

 

Als Martins Sohn eingeschult wurde, befürchteten die Eltern, dass er aufgrund der Besonderheiten des Vaters gehänselt werden könnte. Diese Sorge blieb jedoch erfreulicherweise unbegründet.

 

Zum Schluss noch eine letzte Frage an Martin: «Wenn ein Jugendlicher mit einer kürzlich erlittenen Verbrennung einen Rat von dir wünscht, was würdest du ihm mitgeben wollen?»

 

Martin antwortet mit überzeugter Stimme: «Ich würde ihn fragen, was denn seine Ziele und Träume vor dem Unfall waren. Man muss versuchen, diese Träume zu erreichen! Mit der Hilfe aus Fachkreisen und dem eigenen Umfeld, ist, wenn auch über einen Umweg, sehr Vieles möglich.» (Martin sass übrigens zwei Jahre nach dem Unfall wieder auf dem Motorrad und fährt bis heute…..)

 

Es brauche einige Zeit, bis man akzeptiert, dass man nicht mehr so aussieht wie vorher – aber irgendwann lerne man damit zu leben. Das gilt ebenso für das persönliche Umfeld. Martins Erzählungen enden mit: «Man verändert sich immer und entwickelt sich stets weiter».

 

 

 

(Interview durch David Farruggia, Psychologie-Praktikant, 2019)

 

 

Martin Achermann unterstützt die «Face Equality International Kampagne». Für die «Face Equality Week 2019» hat er folgendes Video beigetragen:

 

 

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