TillDer heute fünfjährige Till wurde mit einem grossen Nävus im Gesicht geboren.
Im Jahr 2008 erblickte Till das Licht der Welt – das erste Kind für die Eltern Kati und Sebastian. Was die pränatalen Untersuchungen nicht zu Tage fördern konnte, war ein Nävus, der sich über die ganze linke Gesichtshälfte erstreckte. „Natürlich waren wir etwas erschrocken als wir den kleinen Till zum ersten Mal gesehen haben, dennoch überwiegte die Freude, einen gesunden Jungen zu haben“, erinnert sich der Vater.
Nach der Geburt folgten Abklärungen in verschiedenen Kliniken. Die Expertenmeinungen gingen weit auseinander; die einen sahen keinen Handlungsbedarf, die anderen befürchteten ein erhöhtes Krebsrisiko, hatten jedoch wenig konkrete Ideen zur Vorgehensweise. Diese Unsicherheit war für die Eltern sehr belastend.
Im Alltag erlebten die Eltern häufig, dass andere Personen mit grossem Unverständnis, Erschrecken oder Bedauern auf Till reagierten. Die Sorge vor einer drohenden Stigmatisierung und deren möglichen Folgen, war mitunter ein Grund, weshalb sich die Eltern schliesslich dazu entschieden, den Nävus operativ entfernen zu lassen.
Als Till ein Jahr alt war, fand die erste Operation statt, bei der ein Teil des Nävus herausoperiert und eine Vollhauttransplantation durchgeführt wurde. Zur Unterstützung der Narbenheilung erhielt Till eine Gesichtsmaske, welche er während mehreren Monaten sowohl nachts als auch tagsüber tragen musste.
Als Till 2 Jahre alt war, erhielt er einen Expander, d.h. eine Art Ballon, der nach und nach mit Kochsalzlösung gefüllt wird und sich dadurch ausdehnt und damit eine Dehnung der Haut bewirkt. Damit wurde neue Haut – diesmal mit Haaren – gewonnen um Areale im Bereich des behaarten Kopfes zu decken. In den darauf folgenden Jahren folgten weitere Korrektureingriffe.
Die schwierigste Zeit sei nicht die Operationsphase gewesen, erklären die Eltern, sondern die Zeit, als Till den Kompressionsanzug zur optimalen Wundheilung tragen musste. „Auch wenn wir die Notwendigkeit für den Kompressionsanzug sahen, war es doch schwierig sein Kind jeden Tag in einen solchen Anzug quetschen zu müssen.“ Noch schlimmer waren die unzähligen Reaktionen auf der Strasse, im Zug oder in Läden. Die Eltern waren sich zwar gewohnt, dass ein grosses Muttermal im Gesicht die Blicke anderer anzieht, dennoch waren sie überrascht zu merken, dass Till mit dem Kompressionsanzug teilweise wie ein Aussätziger angesehen wurde. Sehr schmerzhaft waren Mutmassungen anderer Leute und die damit verbundenen Fragen: Wie kann so etwas passieren? Wer ist Schuld? Konnten die Eltern nicht besser auf das Kind aufpassen? „Gelegentlich hätte ich die Leute am liebsten gepackt und ihnen die ganze Geschichte von Till erzählt – nur interessieren sich die Menschen nicht für die Wahrheit – sie wollen sich am Schicksal ergötzen“, gibt Vater Sebastian zu bedenken.
Mittlerweile muss Till den Kompressionsanzug nicht mehr tragen. Wo früher ein riesiges behaartes Muttermal war, ist heute eine gut verheilte narbige Fläche zu sehen. Bisher, versichern die Eltern, könne Till sehr gut mit seinem Äusseren umgehen – fragen beispielsweise Sandkastenfreunde was er „da“ habe, entgegnet Till „das hat mein Arzt so für mich gemacht“. Die Eltern sind sich bewusst, dass Till im Verlauf seines Lebens noch viele Male auf das Thema angesprochen wird, sind aber zuversichtlich, dass er gut damit klar kommen wird.
(Text: 2013; Fotos Valérie Jaquet und Familie von Till)
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