Clemens Schiestl

Ein Rückblick auf eine Karriere im Dienst der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Brandverletzungen

In einem Interview anlässlich seiner Pensionierung als Leiter Zentrum Kinderhaut, Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie und Zentrum für brandverletzte Kinder am Kinderspital Zürich reflektiert Clemens Schiestl über seine Laufbahn, die Transformation der medizinischen Praxis und damit einhergehende Herausforderungen.

Clemens Schiestls Reise begann in Freiburg im Breisgau, wo er sich nach der Schulzeit für eine Ausbildung zum Krankenpfleger entschied. Dort zog ihn die Medizin mehr und mehr in ihren Bann, und so folgte Schiestl seinem Herzen und absolvierte später ein Medizinstudium in Freiburg. Seine erste Assistenzstelle führte ihn nach Kassel, wo er sich auf plastisch-rekonstruktive Chirurgie und die Behandlung von Verbrennungen spezialisierte. 

 

Im Jahr 1999 zog es Schiestl nach Zürich ans Kinderspital, wo er bald die Leitung des Zentrums für brandverletzte  Kinder, und Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie übernahm. Mit 40 Jahren begann er am KiSpi seine akademische Karriere, wobei er sich intensiv mit verschiedenen Forschungsthemen wie Hautersatz aus dem Labor, ethische Fragen rund um die plastische Chirurgie bei Kindern und der Verbesserung der Lebensqualität von Kindern mit Brandverletzungen beschäftigte. «Der Übergang von Deutschland in die Schweiz und dann die akademische Karriere erst im Alter von 40 Jahren zu beginnen, stellten die grössten Herausforderungen in meiner Laufbahn dar», reflektiert der dreifache Familienvater heute. 

 

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Verbrennungschirurgie drastisch weiterentwickelt. « Vor 20 Jahren hatte man mit einer zu 45% verbrannten Körperoberfläche nur noch eine 50/50 Chance zu überleben. Heute besteht eine 50% Überlebenschance, wenn die Körperoberfläche zu 95% verbrannt ist.» Die Überlebensrate hat sich also enorm verbessert. Nach dieser Errungenschaft liegt der Fokus heutzutage darauf, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Medizinische Fortschritte, wie beispielsweise die Entwicklung von im Labor hergestellter Haut, haben dazu beigetragen, dass selbst grossflächige Verbrennungen erfolgreich behandelt werden können und die Notwendigkeit wiederholter Korrekturoperationen wesentlich verringert wurden. «Aktuell arbeiten wir daran, den im Labor hergestellten Hautersatz weiter zu verbessern, damit er noch besser ein- und mit-wächst, eine passende Farbe hat und die Narbenbildung weiter reduziert werden kann 

 

Clemens Schiestl betont die Wichtigkeit von multidisziplinären Teams bei der Behandlung von Kindern mit Brandverletzungen und legt grossen Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit. « Ich habe das Gefühl, das Allerwichtigste ist das wöchentliche Team-Gespräch mit allen involvierten Disziplinen, in denen jeder Patient individuell von A bis Z besprochen wird. Chirurgie, Pflege, Psychologie, Physio- und Ergotherapie, u.v.m. – Teamgeist und Kommunikation auf Augenhöhe ist für die Behandlung von Kindern mit Verbrennungen eine unglaublich elementare Sache.»  

 

Trotz wichtigen medizinischen Erfolgen bleiben in der Verbrennungschirurgie weiterhin Herausforderungen bestehen, insbesondere in Entwicklungsländern, wo die Ressourcen und der Zugang zu moderner Medizin begrenzt sind. «Als dienstältester Kinderverbrennungschirurg Europas habe ich insgesamt «nur» 35 PatientInnen mit einer Verbrennung von über 80% der Körperoberfläche behandelt. In high-income Ländern wie der Schweiz kommt es zum Glück nur selten zu solch schweren Verbrennungen, 95% der schwerbrandverletzten Patienten findet man in low-income und middle-income Ländern.» Clemens Schiestl betont deshalb die dringende Notwendigkeit, Ressourcen und Fachwissen in diese Regionen zu bringen, um auch dort die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.

 

Auch nach seiner Pensionierung möchte Clemens Schiestl sich noch nicht ganz aus der Verbrennungsmedizin zurückziehen. Er bleibt weiterhin aktiv in der Forschung tätig und setzt seine Projekte zur Verbesserung der Versorgung von Brandüberlebenden in Afghanistan und der Ukraine fort. Zusätzlich hat er beschlossen, sich neuen intellektuellen Herausforderungen zu stellen – so plant er ab dem Herbstsemester 2024 ein Studium der Philosophie aufzunehmen, um sich mit Lebensfragen über die Medizin hinaus auseinanderzusetzen. 

 

Clemens Schiestls Engagement für die Verbesserung der Lebensqualität von Verbrennungsüberlebenden und sein Beitrag zur Weiterentwicklung der Kinderverbrennungschirurgie hinterlassen breite Spuren und inspirieren zukünftige Generationen von Medizinern weltweit.  

 

Wir freuen uns sehr, dass sich Clemens Schiestl auch nach seiner Pensionierung  weiterhin für die Hautstigma-Initiative engagiert. 

 

Wir danken Clemens Schiestl für seinen unermüdlichen Einsatz über all diese Jahre und wünschen ihm weiterhin alles Gute!

(Interview und Text: Celina Weber, wissenschaftliche Mitarbeiterin Hautstigma, Februar 2024;
Portraits: Kinderspital Zürich / Barbora Prekopova)

 

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