Erfahrungsbericht von Tatjana Jurkic

Präsidentin der Debra Schweiz Patientenorganisation und Mutter von Ilija – einem sechsjährigen Knaben mit Epidermolysis Bullosa (EB)

 

Tatjana Jurkic ist Präsidentin der Patientenorganisation Debra Schweiz, welche sich für Menschen mit der Hauterkrankung Epidermolysis Bullosa (EB) einsetzt. Die Betroffenen werden umgangssprachlich auch «Schmetterlingskinder» genannt, weil ihre Haut sinnbildlich so verletzlich ist, wie die Flügel eines Schmetterlings. 

Die Patientenorganisation will betroffene Kinder und deren Familien bestmöglich unterstützen – sei es im sozialen, rechtlichen oder auch finanziellen Bereich. Dabei besteht eine enge Zusammenarbeit mit den EB-Kompetenzzentren am Universitäts-Kinderspital Zürich und der Universitätsklinik für Dermatologie am Inselspital Bern. Frau Jurkic selbst schätzt in der Patientenorganisation den Austausch mit anderen betroffenen Familien. «Wir sind untereinander eng verbunden, fast wie eine kleine Familie und können viel voneinander lernen.», meint sie.  In den Vorstand von Debra Schweiz gelangte Frau Jurkic, nachdem ihr Sohn Ilija mit Epidermolysis Bullosa zur Welt kam. Sie wurde bald darauf als Präsidentin gewählt.

 

Ilija ist mittlerweile sechseinhalb Jahre alt und besucht den zweiten Kindergarten. Die Haut von Ilija erfordert einen hohen Pflegeaufwand, vier bis sechs Stunden pro Tag. Bis Ilija morgens in den Kindergarten kann, sind bereits zwei Stunden Vorbereitung nötig. Da die Haut ständig äusseren Einflüssen ausgesetzt ist, können alltägliche Dinge für betroffene Familien eine grosse Herausforderung darstellen. «Jeder Schritt, den Ilija macht, jeder Biss, den er nimmt, jeder Blick ins Licht, alles stellt eine mögliche Verletzungsgefahr dar.», erklärt die Mutter. 

 

Epidermolysis bullosa führt häufig zu offenen Wunden, auch im Gesicht. Durch diese sichtbaren Wunden stellen sich für Betroffene häufig auch Herausforderungen im sozialen Umfeld. Frau Jurkic erzählt, wie sie ihren Sohn anfangs am liebsten vor den Blicken anderer Leute in Schutz nehmen wollte. Doch mit der Zeit stellte sich die Familie der Herausforderung und ging bewusst unter Leute. An die Reaktionen anderer Leute und teils auch kränkenden Kommentaren musste sich die Familie zuerst gewöhnen. Frau Jurkic meint, dass es am besten sei, wenn man Betroffene auf die Erkrankung anspricht und Fragen direkt stellt. Ihrer Meinung nach ist es für andere wichtig zu wissen, was das Kind hat. Erklärt man die Hauterkrankung, so sei die Angelegenheit für viele damit abgeschlossen und kein Thema mehr.

 

Dank viel Vorbereitung mit Briefen an die Kindergartenfreunde und deren Eltern gelang Ilija ein toller Start im Kindergarten, in welchem er von einer Betreuungsperson begleitet wird. Mittlerweile hat er gute Freunde gefunden, und ist ein Kind, wie alle anderen Kinder auch. Einzig mit den Pausen tat sich Ilija anfangs etwas schwer. Er merkte, dass er in gewissen Punkten eingeschränkt ist. Während andere in der Pause draussen klettern und Fussball spielen, so ist das für Ilija leider nicht möglich. Jedoch hat Ilija in der Zwischenzeit eine gute Lösung für sich gefunden: Er darf die Pausen nun drinnen verbringen und andere Dinge machen, die er gerne macht.

 

Ilija ist ein sehr fröhliches Kind. Er ist ein leidenschaftlicher Schachspieler und liebt es zu schauspielern und dabei in andere Rollen zu schlüpfen. Zudem schwimmt er sehr gerne. Das Schwimmen benötigt viel Vor- und Nachbereitungszeit. Dafür muss mindestens ein halber Tag eingeplant werden. Dank dem hohen Engagement der Eltern ist das einmal pro Woche möglich. 

 

Der Familie ist es wichtig, Ilija so normal wie möglich aufwachsen zu lassen. «Es gibt Verbandswechselzeit, Zeiten in denen etwas weh tut oder unangenehm ist, aber danach wird die Türe zum Verbandszimmer wieder geschlossen und dann haben wir unseren Ilija vor uns, unser sechsjähriger Junge, der eine grosse Schwester hat, die ihm auch einmal die Türe vor der Nase zuknallt» – die Mutter lacht.  

 

Von einer solchen Krankheit betroffen zu sein, verändert nicht nur ein Kind, sondern die ganze Familie. Frau Jurkic meint, man entwickle eine andere Sicht auf die Welt. Prioritäten werden anders gesetzt, gewisse Probleme werden lächerlich. Die Familie sei viel dankbarer geworden, für jeden Tag und scheint über die vergangenen Jahre einen inneren Frieden gefunden zu haben. «Ich habe meine Aufgabe im Leben gefunden und finde plötzlich Antworten auf Fragen, welche ich mir zuvor noch gar nie gestellt hatte.», beschreibt Frau Jurkic ihre Entwicklung. 

 

Für die Zukunft wünscht sich Frau Jurkic, dass «anders sein» zur Normalität gehört. «Wir sind alle verschieden. Ich würde mir wünschen, dass Leute offener auf die Betroffenen zukommen und niemanden aus der Gesellschaft ausschliessen. So wie es ist, ist es okay und es hat für jeden auf der Erde ein Plätzchen.» Anderen betroffenen Eltern rät sie, an die eigene Stärke zu glauben. Alles, was man aus Herzensüberzeugung mache, sei richtig. Auch sie selbst setzt sich mit viel Herz und Mut für ihren Sohn, ihre Familie und andere Betroffene ein. Die Familie lässt der Krankheit nur so viel Platz wie nötig und geht so ihren eigenen Weg durchs Leben. «Wir können Ilija nicht jeden Stein aus dem Weg nehmen, aber wir können ihm die Hand geben und gemeinsam über die Steine laufen.», das wünscht sich die Mutter für die Zukunft von Ilija.

 

Interview und Text: Dea Sikiric, Februar 2023

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