Mutter von Leonie

«Das Leben hat immer zwei Seiten. Leonie wäre ohne Unfall nie die Leonie geworden, die sie heute ist. Vielleicht hätte sie nie zum Schwimmen gefunden. Deshalb sollte man sich nach dem Unfall nicht vor dem Positiven verschliessen, auch wenn man es im Moment nicht sieht.»

Die vierjährige Leonie war erkältet und sass auf dem Schoss ihrer Mutter. Damit sie schnell wieder zu Kräften kommt, half ihr die Mutter zu inhalieren. Leonie zog am Topf und das darin enthaltene heisse Wasser leerte sich über sie aus. Leonie erlitt schwere Verbrühungen am Bauch und an den Oberschenkeln. Danach folgte ein sechswöchiger Spitalaufenthalt und eine Hauttransplantation, wobei Haut vom Kopfbereich auf die verwundeten Stellen transplantiert wurde. Dafür musste Leonie ihre langen, lockigen Haare abrasieren. Damals brach für die Mutter von Leonie eine Welt zusammen und sie glaubte in diesem Moment nicht, dass sie jemals wieder ein glückliches Leben und eine normale Beziehung zu ihrer Tochter führen könne. 

 

Leonie und ihre Mutter

Heute haben Leonie und ihre Mutter eine wunderbare Beziehung und Leonie ist zu einer jungen, starken und selbstbewussten Frau geworden. Sie steht voll und ganz im Leben und beginnt bald eine Lehre. Leonies Mutter möchte mit diesem Erfahrungsbericht anderen Eltern zeigen, dass es ein Leben nach dem Unfall gibt und ihnen Mut machen, dass sich aus so einem Schicksalsschlag im Nachhinein auch positive Dinge entwickeln können.

 

Habe ich nicht genug aufgepasst? Bin ich schuld? Werde ich jemals wieder eine normale Beziehung mit meiner Tochter aufbauen können? Schuldgefühle und Selbstvorwürfe waren am Anfang so lähmend, dass Leonies Mutter beispielsweise nicht mehr Autofahren konnte. Sehr wertvolle und wichtige, therapeutische Unterstützung half diese Gefühle einzugrenzen und auch wieder die positiven Seiten des Lebens zu sehen. Was ihr geholfen habe, ist die Tatsache, dass Leonie bereits als Kleinkind zeigte, dass sie sehr stark ist. So war es beispielsweise Leonie, die der Mutter ihr Kuscheltier reichte, damit dieses die Mutter im Spital tröstet, wenn es schwierige Situationen zu meistern gab.

 

Leonie sei sich ihrer Narben immer bewusst gewesen, habe diese aber nie als etwas betrachtet, was sie verändern möchte. Bis heute gehe sie damit sehr selbstbewusst und unbeschwert um. Mit der Zeit habe ihre Mutter erkannt, dass die Resilienz ihrer Tochter auch ein Zeichen dafür ist, dass sie als Eltern vieles richtig gemacht haben und keine schlechten Eltern sind. Denn es war ein Unfall und dies war eine wichtige Einsicht, um alles verarbeiten und akzeptieren zu können.

 

In der KiTa, im Kindergarten und in der Schule habe es keine Probleme mit anderen Kindern gegeben. Leonies Mutter findet es wichtig, proaktiv auf Personen zuzugehen und diese zu informieren, so dass die Betreuungspersonen einerseits über die Narben informiert sind, andererseits aber auch konkrete Strategien an die Hand gelegt bekommen, um Leonie optimal unterstützen zu können. Generell findet es Leonies Mutter erstaunlich, dass es den Kindern relativ egal war, dass Leonie etwas anders aussah, vor allem auch als sie ganz kurze Haare hatte. Die Neugierde von Erwachsenen sei belasten-der gewesen. Diese hätten oft gestarrt, ohne auf sie zuzukommen und sie anzusprechen. Auch hier konnte die Mutter von Leonie lernen, da diese schon als Kleinkind solche Situationen selbstbewusst meisterte. Leonies Mutter findet es wichtig, dass in der Gesellschaft mehr Aufklärung über Brandverletzungen und allgemein körperliche Auffälligkeiten stattfindet. Sie hofft, dass dadurch das Anstarren reduziert wird, was das Leben von Betroffenen deutlich erleichtern würde.

 

Die Mutter ist aber überzeugt davon, dass der Unfall auch positive Folgen für die Familie hatte. Durch das tägliche Baden, das über ein Jahr Teil der Rehabilitationstherapie war, entdeckte Leonie ihre Leidenschaft fürs Schwimmen. Heute ist sie Leistungsschwimmerin und trainiert fünf bis sechs Mal pro Woche. Ohne Unfall hätte Leonie vielleicht nie ihre Begeisterung für das Schwimmen entdeckt. Deshalb sollte man versuchen, sich nach einem Unfall nicht vor dem Positiven zu verschliessen, sondern die Augen offenhalten für schöne Erlebnisse.

 

Leonie und ihre Mutter hoffen, dass ihre Geschichte anderen Familien, die Ähnliches durchleben, Mut gibt. Durch alle Schwierigkeiten, die sie durchgemacht haben, sind sie als Familie noch enger zusammengewachsen und haben gelernt, das Leben in all seinen Facetten anzunehmen. Ihr Erfahrungsbericht soll anderen Familien Hoffnung und Mut spenden und ihnen zeigen, dass es immer einen Weg gibt, positiv voranzuschreiten, selbst nach einem schlimmen Unfall.

(Text: Bianca Bürli, Oktober 2023
Fotos: Valérie Jaquet, Kinderspital Zürich)

 

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  1. Antonella Iannotta sagt:

    Liebe Barbara
    Ich werde den Tag nicht vergessen, an dem du mir von eurem Schicksal erzählt hast. Keine Mutter möchte so etwas erleben… Wie du damit umgegangen bist, wie du jederzeit für deine Tochter da gewesen bist und sie gestärkt hast, ist absolut bewundernswert!
    Schön wie ihr zusammen anderen Menschen mit einem ähnlichen Schicksal Mut macht.
    Leonie ist eine wundervolle junge Frau geworden und du darfst richtig stolz auf deine Arbeit als Mutter sein.
    Ich wünsche euch alles Liebe dieser Welt

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