Psychosoziale Herausforderungen bei Hautauffälligkeiten

Die Haut erfüllt nebst verschiedenen biologischen Funktionen als Grenz- und Sinnesorgan auch wichtige psychosoziale Funktionen. Sichtbare Hauterkrankungen wirken sich unmittelbar auf soziale Interaktionen aus. Dies kann das psychosoziale Wohlbefinden und die Lebensqualität von Betroffenen sowie deren Angehörige deutlich beeinträchtigen.

Stigmatisierungserfahrungen bei Hauterkrankungen

Zahlreiche Studien zeigen, dass eine Hauterkrankung sowohl die Selbst- wie auch die Fremdwahrnehmung einer Person prägen  und soziale Interaktionen beeinflussen kann. Eine Befragung in Schulklassen zeigte beispielweise, dass Kinder mit einer Hautauffälligkeit im Gesicht von anderen Schülerinnen und Schüler in Bezug auf diverse Merkmale (z.B. Attraktivität, Sympathie, Fröhlichkeit, Beliebtheit und Intelligenz) deutlich negativer eingeschätzt wurden als Kinder ohne eine Hautauffälligkeit. Zudem gaben viele befragte Schülerinnen und Schüler an, sich gegenüber Kindern mit einer Hautauffälligkeit unwohl zu fühlen und weniger soziale Interaktionen mit ihnen eingehen zu wollen im Vergleich zu mit nicht betroffenen Kindern (1).

 

Entsprechend weisen mehrere Studien darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit körperlichen Besonderheiten mit erheblichen psychosozialen Herausforderungen konfrontiert sind: Betroffene berichten oft, dass sie angestarrt, beschimpft, schikaniert, gemieden oder ausgeschlossen werden (2, 3). Solch unangenehme soziale Reaktionen können sich negativ auf das psychische Wohlbefinden, den Selbstwert und die subjektive Lebensqualität ausüben und zu psychologischen Folgeerscheinungen wie Ängstlichkeit, sozialem Rückzug oder Depressivität führen (2,4, 5, 6).

 

Es ist aber nicht so, dass alle Kinder mit einer Hautauffälligkeit psychosoziale Schwierigkeiten haben. Viele berichten, dass sich ihre Umgebung an ihr Aussehen gewohnt hat und dass dies in ihrem Alltag kaum noch ein Thema ist. Herausfordernd kann es sein, wenn betroffene Kinder oder Jugendliche ihre vertraute Umgebung verlassen müssen und zum Beispiel an einen anderen Wohnort ziehen oder eine neue Schule besuchen. Hier werden sie wieder damit konfrontiert, dass ihr Aussehen verstohlene Blicke, neugierige Fragen oder unbeholfenes Verhalten hervorruft. Betroffene Kinder und Jugendliche müssen dementsprechend Strategien entwickeln, mit solchen sozialen Reaktionen umzugehen. Gute soziale Kompetenzen helfen, soziale Interaktionen  aktiv zu gestalten und erfolgreich zu bewältigen.

Auch Eltern sind von Stigmatisierungserfahrungen betroffen. Auch sie müssen lernen, mit neugierigen Blicken, Fragen und nicht selten auch mit Vorwürfen umzugehen.

 

Die Befürchtung, auf die Hautauffälligkeit angesprochen oder gar abgelehnt zu werden, veranlasst manche Betroffene die Hauterkrankung zu verstecken und Situationen, in denen die Hautauffälligkeit ersichtlich würde (z.B. im Schwimmbad) zu meiden. Solch Vermeidungsverhalten reduziert zwar kurzfristig die Angst und Belastung, hindert längerfristig das Kind aber davor, adäquate Bewältigungsmöglichkeiten zu entwickeln und trägt zur Aufrechterhaltung der Erwartungsangst und zur Generalisierung der Problematik bei. Dabei ist zu bedenken, dass nicht alle Betroffene ihre Hauterkrankung und damit zusammenhängende psychosozialen Herausforderungen als gleich belastend erleben. Es gibt erhebliche interindividuelle Unterschiede – sowohl in der Bewertung wie auch in der Bewältigung der Situation.

Einflussfaktoren psychosozialer Belastung

Wie ein Kind mit einer Hauterkrankung und deren Folgen umgeht, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab: von der Spezifik der Belastung durch die Erkrankung, von seinen personellen Voraussetzungen sowie von der sozialen Wertigkeit der Hauterkrankung und den Reaktionen der Umwelt. Abbildung 1 gibt eine Übersicht über mögliche Einflussfaktoren.

 

Abb. 1: Einflussfaktoren auf das psychosoziale Befinden bei Hauterkrankungen (adaptiert nach (7, 8))

 

Sowohl empirische Befunde wie auch die klinische Praxis zeigen immer wieder, dass das psychologische Befinden und die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität weniger von der medizinischen Diagnose oder der objektiven Krankheitsschwere als vielmehr von psychosozialen Faktoren determiniert werden. Auch wenn Grösse und Sichtbarkeit einer Hauterkrankung das Ausmass der Stigmatisierung beeinflussen (4), so lässt sich aus diesen Faktoren nicht ohne weiteres auf die psychologische Belastung schliessen. Viel bedeutsamer sind individuelle Bewertungsprozesse und Bewältigungsstrategien. Gute Sozialkompetenzen helfen, soziale Interkationen aktiv zu gestalten und erfolgreich zu bewältigen.

 

Entscheidend ist auch, wie das Umfeld auf die Hauterkrankung reagiert und das Ausmass der sozialen Unterstützung, die das Kind erfährt. Wie Eltern mit der Situation umgehen, hat einen grossen Einfluss auf die kindliche Bewältigung der Situation. Empirische Befunde weisen darauf hin, dass familiäre Faktoren, wie elterliche psychische Gesundheit, ein unterstützendes Familienklima, und geringe interfamiliäre Konflikte eine geringere Ausprägung von emotionalen oder verhaltensbezogenen Problemen beim Kind vorhersagen (9). 

 

Psychosoziale Belastungen hängen auch vom Entwicklungsalter des Kindes ab. Während ein Kleinkind sich noch kaum über die sozialen Implikationen seiner Hautauffälligkeit bewusst ist, treten Schwierigkeiten vermehrt im Kindergarten- und Schulalter auf, wenn das Kind zunehmend mit der ausserfamiliären Umwelt in Kontakt tritt und mit neugierigen Fragen in Bezug auf seine Hauterkrankung konfrontiert wird. Die Pubertät gilt als besonders vulnerable Phase, in der viele Entwicklungsanforderungen (Identitätsentwicklung, Aufbau von ausserfamiliären Beziehungen, Unabhängigkeit von Eltern, Vorbereitung auf Beruf, u.v.m.) anstehen, die ungünstig mit krankheitsbedingten Belastungen zusammenwirken können.

 

Entwicklungsveränderungen in der späten Kindheit und im Jugendalter führen dazu, dass das eigene Aussehen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Für viele Jugendliche ist das eigene Aussehen eng mit ihrem Selbstwert verknüpft. Dabei sind Jugendliche mit einer Hautauffälligkeit häufig mit der Frage konfrontiert, ob sie plastisch-chirurgische Eingriffe oder andere Behandlungen auf sich nehmen möchten um ihr Aussehen zu verändern oder ob die Auffälligkeit als Teil ihrer Identität akzeptiert wird. Nicht selten berichten Jugendliche auch positive Aspekte im Zusammenhang mit ihrer Hauterkrankung. Dazu gehört eine erhöhte Sensibilität und Mitgefühl gegenüber anderen Leuten, die Relativierung von Schönheitsidealen und die Wertschätzung von echten Freundschaften.

 

Die körperliche Auffälligkeit eines Kindes kann die ganze Familie beeinflussen. Die Geburt eines Kindes mit einer körperlichen Auffälligkeit – oder auch ein Verbrennungsunfall – löst bei den Eltern häufig eine Flut von Emotionen aus, einschliesslich Angst, Trauer, Schuldgefühlen, Wut und Hilfslosigkeit. Eltern müssen häufig innerhalb kurzer Zeit Entscheidungen bezüglich Behandlungsmöglichkeiten treffen. Kinder mit grossen Hautschäden müssen häufig mehrfache Operationen auf sich nehmen. Die teilweise langen Spitalaufenthalte und mehrfachen Kontroll- oder Behandlungstermine stellen eine Belastung für die ganze Familie dar. Familienstrukturen und -rollen müssen neu definiert werden. Die Pflege des Kindes beansprucht häufig viel Zeit und das betroffene Kind erhält aufgrund von elterlichen Sorgen oder Mitleidsgefühlen oft eine Sonderrolle, so dass es mö­glicherweise überbeschützt wird oder ihm weniger Grenzen gesetzt werden als Geschwistern. Dies kann zu Familienkonflikten führen, z.B. zu Eifersuchtsreaktionen der Geschwister oder Belastungen in der Paarbeziehung.

 

Die Familie kann aber auch ein wichtiger Schutzfaktor für das Kind sein. Ein familiäres Klima, dass geprägt ist durch gegenseitige Unterstützung, Humor und Optimismus, und welches die Autonomieentwicklung und einen positiven Selbstwert des Kindes fördert, erhöht die Widerstandskraft des Kindes.

 

Ausschlaggebend für die individuelle Belastung ist stets die Balance zwischen den Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Interdisziplinäre Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Hautauffälligkeiten

Eine umfassende Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit stigmatisierenden Hauterkrankungen beinhaltet nicht nur eine medizinische Behandlung, sondern auch eine bedarfsgerechte psychologische Unterstützung (Erfahren Sie mehr dazu). Dabei ist das Ziel, das Ausmass der Belastung durch die Hauterkrankung im Alltag zu reduzieren und somit die Lebensqualität Betroffener zu erhöhen und eine positive psychosoziale Entwicklung zu fördern (10). Nebst der Unterstützung durch Fachpersonen, kann es für betroffene Kindern und deren Angehörige auch hilfreich sein, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

Literatur

  1. Masnari, O, et al. (2013). How children with facial differences are perceived by non-affected children and adolescents: perceiver effects on stereotypical attitudes. Body image, 10: 515–523.
  2. Rumsey, N, Harcourt, D, (2007). Visible difference amongst children and adolescents: Issues and interventions. Developmental Neurorehabilitation, 10(2): 113–123.
  3. Masnari, O, et al (2012). Self- and parent- perceived stigmatization in children and adolescents with congenital or acquired facial differences. Journal of Plastic, Reconstructive & Aesthetic Surgery, 65(12): 1664–1670.
  4. Masnari, O, et al. (2013). Stigmatization predicts psychological adjustment and quality of life in children and adolescents with a facial difference. Journal of Pediatric Psychology; 38(2): 162–172.
  5. Koot, HM, et al. (2000). Psychosocial sequelae in 29 children with giant congenital melanocytic naevi. Clinical Experimental Dermatology; 25(8): 589–593.
  6. Masnari, O., et al. (2019). Predictors of health-related quality of life and psychological adjustment in children and adolescents with congenital melanocytic nevi: Analysis of parent reports. Journal of Pediatric Psychology, 44(6), 714-725.
  7. Clarke ,A, et al. (2014): CBT for Appearance Anxiety: Psychosocial Interventions for Anxiety due to Visible Difference. Chichester, West Sussex, UK: Wiley-Blackwell.
  8. Landolt, M (2012): Psychotraumatologie des Kindesalters: Grund- lagen, Diagnostik und Interventionen, Göttingen: Hogrefe.
  9. Dennis, H, et al.(2006): Factors promoting psychological adjustment to childhood atopic eczema. Journal of Child Health Care. 10(2): 126–139.
  10. Masnari, O. et al. (2015). Umgang mit stigmatisierenden Hauterkrankungen im Kindesalter – Wie kann man dem Kind und den Angehörigen helfen? Dermatologie Praxis, 25(4), 22-28.

Weiterführende Informationen:

 

(Beitrag: Dr. phil. Ornella Masnari, Psychologin, Kinderspital Zürich, 2019)